Datum/Zeit
Date(s) - 04/07/2024 - 06/07/2024
15:00 - 13:00
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Erich Mühsam in Oranienburg
Fachtagung anlässlich seines 90. Todestages:
Vorträge – Konzert – Demonstration – Führungen
Die Bibliothek der Freien ist nicht Organisator, aber ruft zur Veranstaltung auf.
Programm
Donnerstag, 04. Juli 2024
15:00 Uhr | Besuch der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen
(Führung Cornelia Berndt) |
Alternativ: Besuch der Erich-Mühsam-Ausstellung
(Führung Mark Mence) |
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17:30 Uhr | Abendessen |
Freitag, 05. Juli 2024
10:00 Uhr | Eröffnung der Tagung mit mehreren Grußworten |
10:45 Uhr | Erich Mühsams KZ-Haftzeit (Vortrag von Wolfgang Haug)
Mühsames Erinnern (Podiumsdiskussion) |
13:30 Uhr | Mittagessen |
14:30 Uhr | „Was wir besitzen, kann nie verlorengehen“ – Die Lebensgeschichte von Zensl Mühsam (Vortrag von Uschi Otten) |
16:00 Uhr | Kaffeepause |
16:45 Uhr | „Sozialismus ist die Rückkehr zur natürlichen, abwechslungsvollen Verbindung aller Tätigkeiten“ – Gustav Landauer, der „Sozialistische Bund“ und Eden (Vortrag von Siegbert Wolf) |
18:00 Uhr | Abendessen |
19:30 Uhr | Als Leichenfresser auf dem Monte Verita – Erich Mühsam in der lebensreformerischen Siedlung bei Ascona (Vortrag und Lesung von Klaus Trappmann und Manuel Harder) |
Samstag, 06. Juli 2024
10:00 Uhr | Die Notizbücher von Erich Mühsam (Vortrag der Gustav-Landauer-Initiative) |
11:30 Uhr | „Das eigene Wohl verpackt im Wohle der Menschheit“ – Silvio Gesell, Erich Mühsam und Eden (Vortrag von Siegbert Wolf) |
13:00 Uhr | Gemeinsames Mittagessen |
05. Juli, 10:00 Uhr
Eröffnung der Tagung
Grußwort des Bürgermeisters der Stadt Oranienburg, Alexander Laesicke
Grußwort vom Vorbereitungskreis, Cornelia Berndt
Grußwort der 1. Vors. der Erich-Mühsam-Gesellschaft e.V., Rosemarie Bouteiller
05. Juli, 10:45 Uhr
Erich Mühsams KZ-Haftzeit
In der ersten Nacht nach dem Reichstagsbrand wurde Erich Mühsam am 28.Februar 1933 um 5 Uhr früh in seiner Wohnung verhaftet und ins Gefängnis in der Lehrter Straße gebracht. Am 6.April verschickte man ihn in das Lager Sonnenburg. Als Zensl Mühsam ihn dort am 8. April besuchen konnte, fand sie Erich Mühsam „schrecklich zugerichtet“. Acht Wochen täglicher Misshandlungen durch die SA-Wachmannschaften hatten begonnen. Mit Hilfe des Oberstaatsanwalts Dr. Mittelbach erreichte Zensl eine Verlegung ins Gefängnis Plötzensee. Drei Monate verbrachte Erich dort, die Misshandlungen unterblieben. Ein neuer Erlass Görings verschärfte die Lage für politische Gefangene wieder drastisch. Am 24. August 1933 wurde Erich Mühsams Zelle durchsucht. Am 8. September wurde er ins KZ Brandenburg gebracht. Die Misshandlungen durch die SS-Wachmannschaften übertrafen alles Vorangegangene. Am 2. Februar begann Mühsams letzte Station im KZ Oranienburg.
Mühsames Erinnern
(Podiumsdiskussion mit: Christian Becker (Stadtarchivar), Martin Bennis (Architekt), Frédéric Bonnesoeur (Historiker), Björn Lüttmann (MdL, SPD), Günter Morsch (ehem. Gedenkstättenleiter), Frank Tietsche (Städt. Bauausschuss, Linke)
// Moderation: Anke Burmeister (Journalistin, rbb)
// Präsentation: M. Bennis (Architekt))
In der Nacht zum 10. Juli 1934 wurde Erich Mühsam im KZ Oranienburg ermordet: Das ist jetzt 90 Jahre her, Oranienburg hat seitdem drei unterschiedliche gesellschaftliche Systeme erlebt.
Oranienburg, die Stadt, in der im März 1933 das erste KZ Preußens entstand. Auf einem ehemaligen Brauereigelände mitten in der Innenstadt waren mindestens 3.000 Menschen inhaftiert, meist politische Gegner der Nationalsozialisten aus Berlin und Umgebung, mindestens 16 Häftlinge kamen ums Leben. Darunter auch der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam.
Im Krieg wurden die Gebäude zerstört und bis auf eine Brandmauer abgetragen. Heute umrahmen ein Supermarkt und ein Wohnheim für die Polizeischule diese Mauer, eine Bronzetafel, eine Bank direkt an der Straße.
Wie kann das zukünftige Erinnern vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage aussehen?
Mühsam war ein hellsichtiger und mutiger Beobachter seiner Zeit. Seine Ermordung war ein Racheakt.
In der Gesprächsrunde „Mühsames Erinnern“ wird das neue Konzept für diesen Gedenkort vorgestellt und mit dem Publikum diskutiert.
Nach 90 Jahren erstarken nun die rechten Kräfte erneut. Die Texte von Erich Mühsam mahnen auch heute: Nie wieder Faschismus.
05. Juli, 14:30 Uhr
„Was wir besitzen, kann nie verlorengehen“ – Die Lebensgeschichte von Zensl Mühsam
(Uschi Otten, Vortrag)
Der Name des jüdischen Dichters und anarchistischen Revolutionärs Erich Mühsam mag manchen im Gedächtnis sein, vielleicht auch sein Ende in einem deutschen KZ. Kaum bekannt aber ist, in welchem Maße sein Leben und Wirken mit dem seiner Frau Zenzl verbunden ist, der wir auch die Überlieferung seiner Schriften verdanken.
Dabei war die bayerische Bauerntochter aus der Holledau, die 1915 den jüdischen Apothekersohn zum Gatten nahm, nicht allein Muse seiner Bänkellieder, die den umtriebigen Bohemien mit ihrem Liebreiz, den brotlosen Dichter mit ihren Kochkünsten bestrickte, sondern ebenbürtige Gefährtin, die ohne ideologische Bindung, sondern aus eigener Lebenserfahrung ein Ziel mit ihm teilte: Eine von Gewalt und Unterdrückung befreite Menschheit.
Sie stand 1918 an Mühsams Seite, als er die Münchner Bevölkerung zur Beendigung des Weltkriegs und zur Revolution aufrief und floh nach seiner Ermordung ins sowjetische Exil, wo sie in eine 20jährige Odyssee durch den Stalinschen Gulag geriet. Erst 1955 gestattete man der 71jährigen Anarchistenwitwe die Rückkehr nach Ost-Berlin, wo sie allen Widerständen zum Trotz für die Veröffentlichung seiner Werke eintrat. Im Lebensweg dieser Unbeugsamen verdichtet sich auf eindrückliche Weise die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts.
05. Juli, 16:45 Uhr
„Sozialismus ist die Rückkehr zur natürlichen, abwechslungsvollen Verbindung aller Tätigkeiten“ – Gustav Landauer, der „Sozialistische Bund“ und Eden
(Siegbert Wolf – Vortrag)
Gustav Landauer (7. April 1870 Karlsruhe – 2. Mai 1919 München-Stadelheim [ermordet]) zählt, neben Erich Mühsam und Rudolf Rocker, bis heute zu den bedeutendsten Anarchisten im deutschsprachigen Raum. Als Literaturkritiker, Übersetzer, Roman- und Novellenautor, Vortragsredner und Essayist, Dramaturg und Buchhändler, als libertärer Sozialist und jüdischer Kulturphilosoph, genoss er hohes Ansehen. Er agierte als Anti-Politiker, Sprach- und Kulturkritiker sowie Initiator zahlreicher libertärer Projekte.
Dazu gehörte der 1908 in Deutschland und der Schweiz gegründete föderalistische „Sozialistische Bund“ mit dem Ziel sozialistischer, ökonomisch autarker und kommunikativ vernetzter Siedlungs- und Lebensgemeinschaften jenseits von Staat und Kapitalismus. Von den vielfältigen Aktivitäten des „Sozialistischen Bundes“ zeugen enge persönliche Verbindungen Landauers zur vegetarischen Obstbaukolonie Eden und den dort lebenden Akteuren der SB-Gruppe „Grund und Boden“.
05. Juli, 19:30 Uhr
Als Leichenfresser auf dem Monte Verita – Erich Mühsam in der lebensreformerischen Siedlung bei Ascona
(Klaus Trappmann – Vortrag mit Textpassagen aus „Ascona“ gelesen von Manuel Harder)
Erich Mühsam setzte sich in dieser – wie er es selbst nannte – 1905 erschienenen „Broschüre“ mit der Lebensgemeinschaft in Ascona (Schweiz) auf dem Monte Verità auseinander. Angetrieben von dem Wunsch, sich aus der Gesellschaft der Jahrhundertwende auszuklinken und ein „einfaches“ Leben leben zu wollen, gründete eine Hand voll junger, frustrierter Menschen auf dem Berg Monte Verità eine „sozial-vegetarische-kommunistische“ Lebensgemeinschaft. Im Laufe ihres Bestehens wird sie von den namhaftesten Intellektuellen jener Jahre als „Fluchtpunkt“ aus dem hastigen Europa besucht: u.a. C. G. Jung, Otto Gross, Hermann Hesse, Carl und Gusto Gräser oder aber auch Erich Mühsam, dem Anarchisten. Wer denkt, der Text schwingt ein Loblied auf die Lebensgemeinschaft, die nun nach anarchistischen Gesichtspunkten herrschaftslos und frei jeder Verpflichtungen miteinander lebt, der irrt sich. Mit bissig-ironischem Ton kritisiert Mühsam die intellektuell-ideologische Unzulänglichkeit der Monte Verità-Mitstreiter immer wieder. Mühsam kritisiert an unzähligen Stellen das fehlerhafte, in sich unschlüssige Lebenskonzept der Aussteiger. Ein Punkt bspw. beschäftigt ihn länger: Die Einstellung der Vegetarier gegenüber den Nicht-Vegetariern, die letzteren seien „Leichenfresser“ – zu Recht bemerkt Mühsam, dass auch das Obst- und Gemüse-Essen „Leichenfrass“ ist, denn auch hier handele es sich doch einstmals um Lebewesen, die nun durch den Menschen des Lebens beraubt, also gegessen würden.
06. Juli, 10:00 Uhr
Die Notizbücher von Erich Mühsam
(Gustav Landauer Initiative – Vortrag)
Bislang fehlten detaillierte Darstellungen über das Leben und die politischen Aktivitäten Erich Mühsams in der Zeit zwischen seiner Entlassung aus der Festungshaft in Bayern Ende Dezember 1924 und seiner Ermordung im KZ Oranienburg 1934. Einen wichtigen Einblick ermöglichen seine Notizbücher, von denen die Akademie der Künste Berlin nach Zenzl Mühsams Rückkehr aus der Sowjetunion Kopien erhielt.
Die Transkribierungen wurden im Mai 2023 von Mitgliedern der Gustav Landauer Initiative nach intensiven und langwierigen Recherchen veröffentlicht. Erstmals werden Mühsams Reisen, Vorträge und persönliche Kontakte in den letzten Jahren seines Lebens nachvollziehbar. Somit wird das Bild von Mühsams politischen Aktivitäten korrigiert werden müssen. Nach einer von der Mitarbeit in der Roten Hilfe bestimmten Periode zwischen 1925 und 1927 folgte zwischen 1928 und 1930 eine nicht weniger intensive Tätigkeit für die FAUD und die ihr angegliederten Organisationen. Danach widmete er sich wieder vermehrt literarischen Projekten.ven seiner Reiseorte über seine Vorträge oder über bislang unbekannte Kontakte zu recherchieren.
06. Juli, 11:30 Uhr
Das eigene Wohl verpackt im Wohle der Menschheit – Silvio Gesell, Erich Mühsam und Eden
(Siegbert Wolf – Vortrag)
Silvio Gesell (1862-1930) begründete zunächst seine Theorie des Schwund- bzw. Freigeldes, wonach eine Währung ständig an Wert verliere und Geld daher nicht zum Ansparen, sondern zum schnellen Verbrauch geeignet sei. Geld war für ihn die Hauptursache des Zinses und der Ausbeutung. In einer grundlegenden Reform des Geldwesens, die auf eine ,Enthortungʼ des Bargeldes hinauslief, erkannte er den ,nervus rerumʼ für eine gerechtere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.
Neben einer umfassenden Reform des Geldwesens durch die Einführung des ,Freigeldesʼ gründete Gesells Freiwirtschaftslehre auf einer grundlegenden Reform von Grund und Boden. Da er das leistungslose Einkommen, die Grundrente, als ungerecht empfand, propagierte er ,Freilandʼ, um allen Menschen ungehinderten Zugang zu Grund und Boden zu garantieren.
Erreichen wollte Gesell mit seiner „Natürlichen Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ (NWO) die Abschaffung des Zwischenhandels, des Zinssystems, der Arbeitslosigkeit, der Spekulation und des arbeitslosen Einkommens, der Börsen, Banken und Hypothekenanstalten, die Vermeidung von Finanzkrisen, die Einführung eines krisenfesten Geldes und des zinslosen Kredits sowie die Befreiung der Frauen von materieller Not und freier Güterzugang für alle.
Die Bibliothek der Freien ist nicht Organisator, aber ruft zur Veranstaltung auf.