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Buchempfehlung: Pädagogische Schriften – Leo Tolstoi (2023)

Leo Tolstoi: Pädagogische Schriften: Gesamtausgabe: Zwei Teile in einem Band. Übersetzung von Otto Buek. Herausgegeben von Peter Bürger. 412 S., Tolstoi Friedensbibliothek, November 2023, 16,99 Euro, ISBN 978-3758311741

Lew Nikolajewitsch Tolstoj (1828 – 1919) – im deutschsprachigen Raum auch Leo Tolstoi – ist weltweit bekannt für Werke wie Krieg und Frieden, Anna Karenina oder Die Kreutzersonate, sowie für religiöse und philosophische Lehren. In anarchistischen Kreisen wird er darüber hinaus für seine Auseinandersetzung mit Gewaltfreiheit seine Aufrufe und Texte zu Kriegsdienstverweigerung und seine oft auch scharfzüngige Kritik an Herrschaftsverhältnissen geschätzt. Mit anarchistischer Bildung oder libertärer Pädagogik, wird Tolstoi hingegen nur sehr wenig in Verbindung gebracht – zu Unrecht, wenn man betrachtet, wie viel Zeit und Energie er für die Entwicklung eines eigenen, libertären Bildungsbegriffs, sowie die Umsetzung seines ganz eigenen anarchistischen Bildungsverständnisses in Form von mehreren Schulen, einer pädagogischen Zeitschrift und der Veröffentlichung eines Elementarbuches aufgewendet hat. Seine Gedanken zu Bildung sind, heute wie damals, revolutionär, gegen jede Form des Zwangs und stellen Freiheit in den Mittelpunkt von Bildung. Die Pädagogischen Schriften, die in dieser Form erstmals 1907 herausgegeben wurden, sind eine Sammlung seiner Gedanken zu Bildung und seiner Erfahrungen mit der Bäuer:innenkinder-Schule Jasnaja Poljana auf dem eigenen Landgut.

Die vierte Auflage der von Tolstoi selbst genehmigte Raphael-Löwenfeld-Ausgabe mit Übersetzungen von Otto Buek vereint erstmals beide Teile in einem Band und enthält nach einem Vorwort des Herausgebers Peter Bürger der Tolstoi-Friedensbibliothek die folgenden Kapitel:

Erster Teil

  • Einführung (zu den ‚Pädagogischen Schriften‘) R.L.

  • Gedanken über Volksbildung

  • Über die Methode des Unterrichts im Lesen und Schreiben

  • Das Projekt eines allgemeinen Planes für die Errichtung von Volksschulen

  • Erziehung und Bildung

  • Der Fortschritt und der Begriff der Bildung

  • Sollen die Bauernkinder bei uns schreiben lernen oder wir bei ihnen?

Zweiter Teil

  • Die Schule von Jasnaja Poljana im November und Dezember des Jahres 1862 [1861]

  • Allgemeiner Bericht über den Charakter der Schule

  • Mechanisches Lesen

  • Stufenweise Lesen

  • Schreiben, Grammatik und Kalligraphie

  • Aufsätze

  • Biblische Geschichte

  • Geschichte und Geographie

  • Die erste Geschichtsstunde

  • Die Künste

  • Zeichnen

  • Singen

  • Einiges über die Volksbildung

Das Buch enthält außerdem einen Anhang mit einer, zwar leider nicht vollständigen, aber gut recherchierten, bibliographischen Übersicht nicht nur zu Tolstois Werken bezüglich Pädagogik, sondern auch zu entsprechender Sekundärliteratur.

Im ersten Teil finden sich demnach die theoretischen Gedanken, die sich an vielen Stellen wie ein packender Roman lesen. Leser:innen, die eher an einer Beschreibung des Schulbetriebs in Jasnaja Poljana und Berichten aus dem Schulalltag interessiert sind, werden hingegen vom zweiten Teil angesprochen.

Fazit: Manchmal muss das Rad nicht neu erfunden werden. Gedanken zu anarchistischer Bildung wurden schon vor mehr als 150 Jahren gedacht und umgesetzt. Man kann sowohl in Tolstois theoretische Gedanken eintauchen als auch das Schulprojekt kennenlernen, als wäre man selbst dabei. Macht Mut und inspiriert dazu, Bildung und Anarchismus zusammen zu denken.

Aro